Die intimste Wahrheit ist diese: Vitória kann ihre Mutter nicht für sich beanspruchen.
1965. Angola. Der Freiheitskrieg gegen die portugiesische Vorherrschaft nimmt seinen Lauf.
Mittendrin: Rosa Chitula und ihre Familie. Viele suchen Sicherheit und Stabilität in Lissabon,
verlassen das Land. Doch Rosa rebelliert, will kämpfen – und wird das Gesicht der
Unabhängigkeitsbewegung. Die zweijährige Vitória, Rosas Tochter, flieht mit ihren Großeltern
nach Portugal und dann – nichts. Ein Schnitt, der nicht heilen wird.
2003. Lissabon. Vitória Queiroz da Fonsecas Leben besteht aus Erinnerungen: Da sind Bilder,
Gerüche, der Geschmack von Sauermilch. Da sind die Säulen eines Traumas, das Vitória nicht
überwinden kann: zu wissen, dass ihre Mutter ein Land mehr liebte als ihre Tochter. Denn wie
damit umgehen, wenn da niemand ist, der Antworten auf die eigenen Fragen geben kann …
Wie sieht das Leben aus, wenn man in einen Kampf um Freiheit hineingeboren wird, der nicht
der eigene ist?
Wie verstehen, dass die Geschichte übermächtig geworden ist, sich hineingedrängt hat
zwischen sich selbst und die Möglichkeiten, die man vielleicht gehabt hätte? Vitória kennt ihre
Mutter nicht, kennt ihren Kampf nicht. Aber sie trägt die Revolte in sich, genauso wie Rosa. Sie
lässt Lissabon, ihren Verlobten und Job hinter sich, getrieben von dem Drang, sich selbst zu
begegnen. Doch das Luanda des 21. Jahrhunderts besteht aus Kontrasten, ist abweisend und
Heimat zugleich. Hier gehören die Menschen einem Land, das nicht immer das ihre war, das
nicht immer das ihre ist. Als Vitória in Huambo die Einzigartigkeit von Angola entdeckt, sich
selbst auf der Spur, trifft sie auf die Geister einer fremden Vergangenheit und muss lernen,
dass es Risse gibt, die zu tief sind, um noch geflickt zu werden.
Wir schreiben Formen der Gewalt.
In einer klaren Sprache erzählt Yara Monteiro von der Gewalt der Geschichte. Einer Gewalt, die
wir spüren, aber nicht aufhalten können. Die vergangen ist, aber für immer bestehen bleiben
wird. Wie fühlt es sich an, nach Wurzeln zu greifen, ohne zu wissen, ob man sie fest im Boden
verankern oder ausreißen will? Und was bedeutet Freiheit, wenn sie alles ist und gleichzeitig
nicht das, was wir für uns gefordert haben? Ein Debüt, das fesselt: kompromisslos.
Haymon Verlag
Übersetzung: Michael Kegler
Erscheinungsdatum: 03/2022